Lieber Gast,
ich glaube, dass jeder Kursschüler irgendwann mit den Argumenten und Einwänden konfrontiert wird, die du hier sehr präzise auf den Punkt gebracht hast. Ich glaube allerdings auch, dass sie nicht unbedingt das bedeuten müssen, was du in der Einleitung schreibst, nämlich dass sie belegen, dass der Kurs für dich nicht geeignet ist. Ganz im Gegenteil könnten die Argumente auch bedeuten, dass du den Kinderschuhen entwachsen bist und in eine "ernsthaftere" Phase des Lernens eintreten willst.
Wenn ich dich richtig verstehe, ist dein Hauptargument, dass wir unsere Existenz hier auf der Erde nicht leugnen dürfen, dass wir alles, was wir hier erleben, bewusst wahrnehmen und durchleben müssen, um daraus zu lernen, zu reifen und uns weiterzuentwickeln. Der Kurs scheint genau das Gegenteil zu verlangen, zu fordern, dass wir diese Welt ignorieren (weil sie ja unwirklich ist) und dass wir jede Freude und jeden Schmerz vergeben (also leugnen) sollen.
Am Anfang - in der ersten Begeisterung - hat das wunderbar funktioniert, aber nach einiger Zeit holt uns diese Welt umso heftiger wieder ein. Der "Fehler", den wir in dieser Phase des Lernens gemacht haben, ist, dass wir "zu viel" gemacht haben. Wir haben geglaubt, dass wir jede (negative wie positive) Emotion unterdrücken müssten, dass wir nur dann Vergebung geübt hätten, wenn wir uns in Bezug auf die andere Person oder die betreffende Situation
sofort anders fühlen und sie nun nicht mehr als negativ sondern als positiv wahrnehmen. Nicht Urteilen und Vergeben bedeutet jedoch weder eine Verschiebung von "negativ" nach "positiv" noch von "positiv" nach "neutral". Im Kurs wird nur die "kleine Bereitwilligkeit" verlangt, für
möglich zu halten, dass wir uns mit unserer Sichtwiese irren. Alles, war wir darüber hinaus zu tun versuchen, ist kein Mehr sondern ein Weniger und behindert unser Lernen.
Wenn wir also Ärger über einen anderen Menschen empfinden, geht es nicht darum, uns einzureden, dass "alles gut" wäre. Wenn deine Seele den Ärger eine Weile durchleben will, soll sie das tun und es gibt keinen Grund, diesen Ärger zu verdrängen. Wenn du diesen Ärger verdrängst, bringst du damit ja zum Ausdruck, dass er negativ ist, nicht wünschenswert und schlecht - und dass du so lange schuldig bist wie du ihn empfindest. Statt dessen könntest du den Ärger durchleben, so lange du dies für notwendig und wünschenswert hälst, dabei aber "im Hinterkopf haben", dass es auch eine ganz andere Sichtweise der Situation geben könnte. Du hälst dann nicht an der felsenfesten Überzeugung fest, dass dein Ärger "absolut gerechtfertigt" sei. Irgendwann kommt dir dann vielleicht ein Gedanke, "den du für deinen eigenen hälst" und den du bis jetzt völlig übersehen hast oder eine gedankliche Herangehensweise, die du als viel "eleganter" empfindest als die alte und die das Problem verblassen lässt. Das Wichtige ist, dass dich diese andere Auffassung
wirklich überzeugt. Wenn (noch) nichts in dieser Richtung geschieht, ist das kein Grund zu Beunruhigung, dann gibst du deinem Geist eben mehr Zeit.
Meine persönliche Erfahrung ist, dass Vergebung auf diese Art sehr viel "tiefer geht" und in mir wirklich etwas verändert, anstatt nur kurzfristige Effekte zu erzielen, indem ich "mir etwas einrede". So tue ich genau das, was du dir wünschst: "Ich muß als Mensch meine Entwicklungsstufe erkennen und annehmen, damit ich mich weiterentwickeln kann."
Ich wünsche dir alles Gute - ob du nun mit dem Kurs oder auf einem anderen Weg weitermachst.
Albert