Geistesfrieden

[Elisabeth]

Mir liegt einfach viel daran, einen Text möglichst gut aus sich selbst heraus zu verstehen, und in dem Sinne bin ich allerdings der festen Ansicht, dass das Wort "Misstrauen" in dem zitierten Text von Ken Wapnick aus dem Gesamtzusammenhang heraus nur als "gesunde Skepsis" oder "Wachsamkeit" verstanden werden kann und alle anderen Bedeutungen wie "Argwohn" oder "Sich egohaft selbst bekämpfen" vom Sinnzusammenhang her hier ausgeschlossen sind. Gasts Einwand und Deine Erläuterungen dazu gehen daher, so beachtenswert sie grundsätzlich sind - ich stimme da ausdrücklich zu -, in dem Fall am konkreten Text und dessen Anliegen meiner Ansicht nach doch etwas vorbei.

Das stimmt für das Wapnick-Zitat selbst sicherlich. Ich habe überempfindlich auf das Wort Misstrauen reagiert, weil ich glaube, dass das auch einer Gewichtung in Wapnicks Gesamtwerk entspricht; dass also die Wachsamkeit gegenüber dem Ego so unverhältnismäßig überwiegt gegenüber den Hilfen, die man dabei braucht und auch erwarten kann, dass dadurch die Wachsamkeit in Misstrauen umkippen kann. Ich habe mich jahrelang sehr stark an Wapnick orientiert, vielleicht etwas zu sehr. Seit ich mich davon löse, schaue ich stärker auch auf die Gewichtung in seinen Texten und nicht mehr nur auf den ausdrücklichen Argumentationsgang. Aber ich halte Wapnick nach wie vor für einen hervorragenden Kurslehrer und werde seine Bücher nie links liegen lassen.

Und so spricht für mich alles dafür, vor jedem kritischen Einwand sich erstmal ganz auf den Text des anderen einlassen und zum Hörenden werden, sofern man etwas lernen will. Es spricht ja auch nichts dagegen, Texte links oder rechts liegen zu lassen, weil sie einen nicht ansprechen, dann erübrigt sich allerdings ein kritischer Kommentar. Ich halte Kritik nur im Sinne von kritischer Nachfrage an den Autor, wie er das denn verstanden haben will und was er denn mit der oder jener Aussage bezweckt, für sinnvoll. Das ist zumindest das, was ich lernen will. Alles andere erscheint mir doch eher aus dem Ego geboren, sich aus der Begegnung unter Gleichen verabschiedend (= sich selbst in den Rang des Urteilenden erhebend) und daher wenig zielführend.

Das nehme ich mir zu Herzen. Es gelingt mir in der Hitze des Gefechts nicht immer. Manchmal rege ich mich über einen Beitrag auf, weil ich das Gefühl habe, dass der Kurs verraten wird, und dann möchte ich etwas, das mir heilig ist, unbedingt verteidigen. Rational ist mir schon klar, dass nichts, was Verteidung braucht, heilig sein kann, und vice versa. Aber nicht immer habe ich die Besonnenheit, mich danach zu richten. Danke für die Erinnerung daran, was Kommunikation bedeutet.

Elisabeth

[gottfried]

Wie ist es nur möglich, den Kurs so zu lesen, dass Glück und Seligkeit auf der Anklagebank landen?

Keine Ahnung. In diesem Thread tut das niemand. Wo hast du das her?

Ich habe überspitzt formuliert.

Es gab hier schon mehrfach den Berichte von einer Frau, mir fällt der Name jetzt nicht ein, die jahrelang mit ihrem Partner irgendwelche Satsangs und Kommunen der Glückseligkeit leitete, und in ein dermaßen tiefes Loch gefallen ist.

Du meinst die "offene Beichte" von Rani, in der sie eindrücklich die Fragwürdigkeit ihrer "spirituellen Erfahrungen" schildert.

In Ihrem Bericht erwähnt sie auch das Buch "Halfway Up the Mountain", das ihr endlich die Augen geöffnet hat. Ich kann den Schmöker nur empfehlen, wenn man unbedingt an Glückserfahrungen kleben bleiben möchte und meint, die hätten spirituell eine Bedeutung.

Dass das in die Irre führt, hat hier nie jemand geleugnet. Es war aber mehrmals die Rede davon, dass man auch das Kind mit dem Bad ausschütten kann.

Ich möchte deshalb an das Kurskonzept des glücklichen Schülers erinnern, der lernfähiger ist als ein unglücklicher. Dieses Glück ist nicht eine Trophäe, die man erringt und dann besitzt, es bedeutet auch nicht, dass man das Ziel schon erreicht hat, und Glückserfahrungen legitimieren im Kurs auch keinen besonderen klerikalen Status. Ich verstehe es so, dass das Glück des glücklichen Schülers die wichtigste Hilfe auf dem Weg ist. Die ständige Wachsamkeit vor dem Ego und die alltägliche Vergebungsarbeit wären sonst eine düstere, trostlose Sysiphosarbeit, die so nicht funktionieren würde, kein Mensch könnte das durchstehen. Im Kurs wird ja auch betont, dass der Kursweg nicht darin besteht, dass ein langer Leidensweg in Kauf genommen werden muss, damit erst am Ziel dann eine Belohnung winkt. Die Belohnung ist in jedem Augenblick schon da, wenn man die richtige Wahl trifft. Man kommt dann trotzdem immer wieder vom Weg ab und muss sich wieder neu ausrichten. Wenn man aber nur die Einsicht in den abgrundtiefen Hass das Ego hätte und nicht auch Lichtblicke, dann würde man genauso die Orientierung verlieren wie durch die Verleugnung des Ego in einem oberflächlichen und unehrlichen Glückskult. So sehe ich das, und es ist mir sehr wichtig, dass der Kurs nicht als ein düsterer, freudloser, fast schon selbstquälerischer Weg dargestellt wird, denn das ist er nicht.

Elisabeth

jap und herzlichen Dank.

[Thomas]

Wenn man aber nur die Einsicht in den abgrundtiefen Hass das Ego hätte und nicht auch Lichtblicke, dann würde man genauso die Orientierung verlieren wie durch die Verleugnung des Ego in einem oberflächlichen und unehrlichen Glückskult. So sehe ich das, und es ist mir sehr wichtig, dass der Kurs nicht als ein düsterer, freudloser, fast schon selbstquälerischer Weg dargestellt wird, denn das ist er nicht.

Das sehe ich ganz genau so. Aber vielleicht formulierte eben auch Wapnick manchmal etwas überspitzt.

[Gast MM]

[Inge]

Frage: wo übertreibt Wapnick?

Gute Frage -- hab mich auch schon gewundert, wie Elisabeth das gemeint hat....

[Gast MM]

Frage: wo übertreibt Wapnick?

Gute Frage -- hab mich auch schon gewundert, wie Elisabeth das gemeint hat....

Ich vermute, dass Elisabeth gemeint hat, dass die Wahrheit genau hier ist, und dass wir dies genau jetzt erfahren dürfen, wenn wir uns für IHN öffnen, statt fürs Egodenksystem und seinen Auswüchsen.
Dem ich zustimmen kann.
Während K. Wapnick immer wieder in seinem Werk darauf hinweist, äußerst misstrauisch zu sein, wenn wir meinen, nun hätten wirs aber geschafft, um es etwas flapsig auszudrücken.
Denn wir übersehen dann gerne, wie oft wir uns *hier* doch den Illusionen und das auch noch gern hingeben, was keine Sünde und Schuld ist, sondern uns immer nur an den Satz aus dem Kurs erinnert : wähle noch einmal. Ich kann doch an mir selber beobachten, wie oft am Tag ich Jesus wegstoße und mich statt dessen am Hindernis vor dem Frieden festkralle. Und ich habe schon mal gesagt: ich bin nichts besonderes. Ich bin gewiss nicht besonders bockig, wie ich das zu Anfang meines Kursweges geglaubt habe.
Klar sind die besonderen Liebes- und die besonderen Hassbeziehungen zu Menschen die augenscheinlichsten Zeugen, dass ich recht habe und der Bruder unrecht. Und ich wollte gestern auch nicht mit dem Beitrag sagen, dass wir nun alles mit einem Schlag loslassen sollten. Manchmal bleibt die Form ja bestehen. Den Kaffee werde ich wahrscheinlich nicht (so schnell) aufgeben. ;-))))
Doch kann mich das vom Frieden trennen, der in mir ist, wenn ich mal keinen Kaffee habe? Bei mir schon noch zu fast 100 Prozent am Tag. Naja, vielleicht überspitzt ausgedrückt.
Wenn alles so glatt läuft, wie ich es will und mir vorstelle, dann ists schon leicht zu behaupten, ich habe allem vergeben und befinde mich schon in der wirklichen Welt. ;-).

[Gast MM]

Hallo zusammen, hallo Elisabeth, deine Einwände haben in mir gearbeitet und ich erfahre gerade ein Loslassen und Öffnen des Geistes!
Ich vermute, ich neigte in der letzten Zeit arg zu Misstrauen, Strenge und Härte.
Nach dem Motto: wenn ich mich wohlfühle, mich verbunden fühle mit dem Bruder und dem Heiligen Geist, wenn es mir gut geht aus keinem bestimmten Grund und ich sowas wie Berührung und Liebe und sogar Freude und Vertrauen und Geborgenheit empfinde (hab halt nur die Worte hier, um es zu beschreiben), dann bin ich garantiert dem Ego auf den Leim gegangen.
Danke für deine Beiträge.

[Gregor]

Solange ich in der Welt zu sein meine ists nunmal so: das Ego wächst sozusagen mit. Und es wird immer versuchen, sein Terrain wieder zurückzuerobern.

Eine interessante Beobachtung. Sie stimmt überein mit den Aussagen einschlägiger zeitgenössischer spiritueller Lehrer der unterschiedlichsten Richtungen: mit der Zunahme spiritueller Erfahrungen und Erkenntnisse wächst das Ego.

Vom Kurs her betrachtet wächst da zwar nicht das Ego (der Begriff "Ego" wird im Kurs anders benutzt), aber durch das Zurechtrücken der fälschlichen Unterscheidung zwischen Illusion und Wahrheit wird immer mehr die Illusion als solche erkannt und nicht mehr mit der Wahrheit verwechselt - das Ego scheint mächtiger zu werden und zu wachsen. Der Effekt ist also derselbe.

Gregor

[Elisabeth]

Solange ich in der Welt zu sein meine ists nunmal so: das Ego wächst sozusagen mit. Und es wird immer versuchen, sein Terrain wieder zurückzuerobern. Natürlich ist das dualistisch ausgedrückt. Gibt ja kein Ego. Aber es gibt einen Geist, der sich zu entscheiden hat, solange er glaubt, hier zu sein. Und wie schnell bin ich nach einer Vergebungserfahrung wieder bereit im alten Trott zu wühlen. Das ist keine Sünde, aber wir alle teilen auch den fehlgesinnten Geist, der es toll findet, sich besonders und Bruce Allmächtig zu fühlen.
Die besonderen Beziehungen sind ein empfindliches Messinstrument. Besondere Beziehungen betreffen nicht nur Menschen. Vielleicht auch Katzen, mein geliebtes Magengeschwür, Socken, die nur aus Bambus sein dürfen, die Sportschau am Samstag, die sog. Heimat, oder Substanzen wie zum Beispiel Kaffee oder Apfelsaft? Bin ich bereit den Kaffee, die Socken, das Magengeschwür, die Sportschau usw. jetzt sofort für immer loszulassen?
Mag albern klingen, aber ich wollte es bewusst alltäglich halten, um aufzuzeigen, dass wir Milliarden und Abermilliarden "besondere Beziehungen" als Hindernisse vor der Liebe Gottes mit Inbrunst pflegen. Schon bei ganz klitzekleinen Dingen merke ich doch, wie ich lieber den Kaffee wähle. Oder? Ganz ehrlich?

Schön gesagt, kann ich alles unterschreiben.

Frage: wo übertreibt Wapnick?

Ich denke, dass er in allen seinen Texten viel Gewicht auf Egofallen und die Wachsamkeit dagegen legt, aber die Möglichkeit positiver spiritueller Erfahrungen kaum jemals erwähnt. In deinem Zitat aus "Den Widerstand..." im Eröffnungsbeitrag sagt Wapnick nicht, dass ein plötzliches Gefühl von Seligkeit und vollkommener Vergebung auch eine Egofalle sein kann, sondern er sagt: das ist eine Egofalle, Punkt. Das ist eine Übertreibung.

Ich erinnere mich an lichte Momente, in denen ich tatsächlich für kurze Zeit total frei von allen lieblosen Gedanken war. Groll, Angst, Schuld, egoistische Wünsche usw. waren komplett denkunmöglich. Da gab es dann auch nichts mehr zu wählen. Dass es irgendeinen Vergebungsstoff geben könnte, war als eine Option des Denkens ganz einfach nicht mehr da. Aber dieser Zustand hat jedesmal nicht lange angehalten, und dann bin ich wieder genauso in das ganz normale Egodenken zurückgefallen wie vorher, und auch alle Vergebungslektionen waren wieder genauso schwierig wie vorher.

Sind solche Erlebnisse Egofallen? Nein, das glaube ich nicht, im Gegenteil. Der Kurs beschreibt den Heiligen Augenblick als ein Fünkchen von Ewigkeit, das in die Zeit herein schneit und sie unterbricht. Manchnmal ist von Momenten der Gnade die Rede, in denen man das Ziel sieht. Das bedeutet ganz und gar nicht, dass man das Ziel damit schon erreicht hat, es muss nicht einmal bedeuten, dass man wesentliche Fortschritte gemacht hat. Aber laut Kurs ist jeder liebevolle Gedanke eine unzerstörbare Schöpfung, die GOTT für uns aufbewahrt, auch wenn wir selbst ihn wieder vergessen. Auch jeder Heilige Augenblick wird aufbewahrt und dehnt sich aus, auch wenn wir das nicht sehen können. Ich möchte nicht mit Geringschätzung von solchen Erlebnissen sprechen, weil ich sie für Gaben GOTTES halte und nicht für eine persönliche Leistung des Kursschülers, und auch nicht für seinen persönlichen Besitz.

Elisabeth

[Gast MM]

Danke Elisabeth
Ich freue mich, dass du deine Gedanken teilst und dies sind solch wertvolle Lernchancen für mich und uns alle hier.