05.12.2008, 18:43
Zitat:Es ist mir beim besten Willen nicht möglich, dieses (vermeintliche) Weltgeschehen schlicht und einfach als “Illusion†abzutun, die keinerlei Bedeutung hat, bzw. sie hat nur die Bedeutungen, die ich ihr gebe -- und die sind katastrophal!
Liebe Inge,
da sprichst du was an. Mir ist das auch nicht möglich. Aber mal sehen, was mir da nicht möglich ist und wie das Ganze überhaupt gemeint sein könnte. Also um es gleich vorauszuschicken - mich beunruhigt die Weltlage in keiner Weise. Sowas wie die Finanzkrise zum Beispiel löst sogar ein Gefühl von Amüsiertheit in mir aus. Stehe ich nun meilenweit über "den Dingen" ? Nein, ich habe einfach andere Auslöser für Beunruhigung aber eben nicht die Weltlage. Aber für das, was wir betrachten wollen, spielt das wohl keine Rolle - es geht ja um die Frage, ob das, was mich da beunruhigt, überhaupt existiert. Laut Kurs: Nein. Aber wie meint er das? Klar scheint mir dabei nur das Eine zu sein: Das alles ist nicht wahr und das bedeutet, dass es nicht wirklich geschieht - gesehen von einem Standpunkt, der die Wahrheit wahrnehmen kann. Da ist es ein Film, eine Illusion und von diesem Standpunkt aus kann man über den Film lächeln.
Für uns aber ist der Film wirklich und ich gehe nun davon aus, dass wir kollektiv alle zusammen den gleichen Film anschauen. "Gleich" heißt hier, dass wir alle die gleiche Leinwand betrachten. Was aber unterschiedlich ist, ist unsere Interpratation dessen, was wir da sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kurs meint, dass jeder Einzelne den gesamten Film erfindet. Die Bäume, die Straßen, auf denen wir gemeinsam fahren, dieses Forum, in dem wir schreiben. All das sehe ich als kollektive Illusion, ebenso wie das gesamte Universum, die Materie etc. - das alles ist ein Produkt des Welt-Ego oder sagen wir mal, es ist das Pendant zum Himmel, der Anti-Himmel.
Es wäre außerordentlich schwierig sich vorzustellen, dass jeder einzelne diese Welt erfindet und wir dennoch uns darüber einigen können, dass es dieses Forum gibt. Irgendwas muss es geben, das uns auch in diesem Traum gemeinsam ist - das Weltgeschehen z.B.
Der kollektive Film scheint nun etwas zu sein, das für jeden, der daran teilnimmt, jede Situation enthält, die er für seinen Erlösung benötigt. Es ist ein gigantisches Epos, eine Universalgeschichte, die jedem erlaubt, sich mit dem zu identifizieren, was in ihm sich eben identifizieren will oder muss. Der eine nimmt das Weltgeschehen, der andere die Frauen, ein dritter findet am Film die Mathematik einfach unwiderstehlich während ein vierter Archäologie wählt u.s.w. Jeder kann das erleben, was er erleben will/muss. Und an dieser Stelle erschließt sich der Sinn des Films. Jeder hat etwas anderes mit dem Film zu tun und jeder hat ihn auf seine Weise mitgedreht - die eigene Illusion steckt mit drin im Film und jeder findet sie in seinem Leben im Film wieder. Und er vergibt sie dann, wenn er dem Leid, das er sieht, vergibt und sieht, dass es unwirklich ist und dass dahinter etwas anderes steht, was kein Leid ist. Das befreit ihn von der Notwendigkeit der Verwicklung in den Film, der nur den Sinn hatte, das zu zeigen, was man selbst nicht mehr sehen konnte, weil es verdrängt wurde.
Hmm, also so stelle ich mir das eben vor. Was es nun für dich bedeutet, dass es die Weltlage ist, die dich beunruhigt und dass es für mich ganz andere Beunruhigungen gibt, das ist einfach in deinem und meinem Geist vergraben und der Film gräbt es wieder aus. Freud hätte gesagt, das müsse analysiert werden, weil es in deinem Unterbewusstsein schlummert und mit Letzterem hatte er wohl Recht. Nur das optimale Heilmittel fand er nicht. Da scheint Vergebung erheblich wirkungsvoller oder gar der einzige Weg zu sein.
Noch eine letzte Überlegung, die mich auch ständig beschäftigt. Wie kann das Leid hungernder Menschen, missbrauchter Kinder, vergewaltigter Frauen anders gesehen werden als das, was es ist? Was ist es anderes als Leid? Täuschen wir uns wirklich darin, dass es Leid ist und ist das eine Illusion - gibt es das nur in mir und nicht "da draußen" ? Gibt es die Brüder und Schwestern da draußen nicht, die leiden und habe ich die erfunden? Da würden mich Antworten auch sehr interessieren.
Thomas