Neid

[Hippias minor]

Neulich hatte ich folgenden Gedanken zum Thema "Neid":

Was wahrhaft groß ist, kann keinen Neid erregen.

Wie sinnlos es wäre, auf Gott neidisch zu sein, ist so unmittelbar klar, daß niemand so einen Gedanken oder so ein Gefühl ernsthaft ausdrücken würde.

Da ich einer bin, der manchmal zu Neid tendiert, hatte dieser Gedanke etwas Befreiendes für mich. Denn wenn mir etwas begegnet, das meinen Neid anstachelt, weiß ich allein schon aus dieser Reaktion, um was es sich handelt und um was es sich sicherlich nicht handeln kann: etwas von wirklicher Qualität.

Solange man neidisch ist, hat man natürlich mit diesen Dingen, die Neid erregen, zu tun und ist noch nicht über den Neid erhaben. Aber dennoch ist der Gedanke nachdenkenswert, inwieweit der Neid auch vom Gegenüber bzw. vom neiderregenden Objekt erst ausgeht, also (psychoanalytisch ausgedrückt) eine Art Gegenübertragungsreaktion darstellt. Das würde heißen bzw. den Rückschluß erlauben, daß jemand/etwas, der Neid erregt, auch Neid erregen will. In bestimmten Fällen, die ich jetzt nicht zu nennen brauche, scheint es mir zu stimmen: ich denke hier an bestimmte Schriftsteller, einen neiderregenden Stil, oder auch an bestimmte, gleichsam neiderregende Musik - und bin dazu übergegangen, mit Sachen nicht mehr umgehen zu wollen, die meinen Neid erregen und es - das ist ja eigentlich der Witz - mehr diesen Sachen und meiner Schwäche/Durchlässigkeit meiner Person für dieses Begehren eines anderen zuzuschreiben, als mich über meine Neidgefühle zu grämen. Ich weiß einfach, sobald ein Neid auftaucht, aufgrund des Neides selber, daß es nur etwas Bedeutungsloses sein kann.

Auch wenn ich, wie ihr wißt, nicht auf dem Kurs-Standpunkt stehe, kommt mir dieser Gedanke so vor, daß er auch jemanden nützlich sein könnte, der den Kurs macht. Ich will aber nicht versuchen, diesen Gedanken vom Kursdenken aus zu überdenken.

Viele Grüße

Hippias minor

[margo]

Was wahrhaft groß ist, kann keinen Neid erregen.

Dieser Satz "springt" mich an.
Wenn ich neidisch bin, kann ich mit Sicherheit sagen, daß das Ego-Denken mir wieder mal ein Märchen erzählt. Ein Märchen von Kleinheit..... daß ich etwas haben müßte, weil ich unvollkommen bin... daß andere mehr hätten wie ich selbst... daß die anderen von mir getrennt wären.... daß der "liebe Gott" alle besser ausgestattet und mich übersehen hätte usw.
Wie kann ein Mensch, der weiß, daß er der vollkommene Sohn Gottes ist noch neidisch sein?

Liebe Grüße
margo

[felix]

Guten Morgen - Ziel des Ego ist nun mal die Trennung. Der Gedanke, nicht besser oder schlechter als andere zu sein - na ja, ist nun mal nicht immer so berauschend. Ich war / bin? gern mal etwas Besonderes - und wenn nicht - kann schon mal Neid (=Angst) aufkommen (Angst = Ruf nach Liebe).
Übrigens, Hippias m., ich finde deine Worte immer sehr wohl gesetzt - bin ETWAS NEIDISCH.
Sonnigen Tag Felix

[Hippias minor]

Übrigens, Hippias m., ich finde deine Worte immer sehr wohl gesetzt - bin ETWAS NEIDISCH.

Tsja, - interessant für mich, wenn an meinem Gedanken etwas dran ist!

Mich haben die Beiträge von Zeitweise oft beeindruckt, aber das war nicht die äußere "Wohlgesetztheit" sondern erschien mir mehr wie eine Kraft, die aus der inneren Durchdringung kommt (wenigstens im Moment des Schreibens/Denkens) und die dann auch das Äußere mitformt. Mir kommt da Neid, in bezug auf meine damaligen Gefühle Zeitweise gegenüber, nicht ganz als das richtige Wort vor, obwohl ich schon sagen kann: Ach, die Klarheit von Zeitweise hättest du auch gerne.

Jemand anderen nachzuahmen, ist vermutlich auch eine Form von nicht eingestandenem Neid.

(Interessant ist auch: Neid heucheln, um dem anderen ein wohliges Gefühl der Überlegenheit zu geben.)

Eine Stelle in Schopenhauers "Aphorismen zur Lebensweisheit" besagt, der "auf persönliche Vorzüge gerichtete Neid" sei "der unversöhnlichste, wie auch der am sorgfältigsten verhehlte". (Kap. 2 Von dem, was einer ist).

Nun, ich werde meine eigenen Neidgefühle mal weiter beobachten. Mit dem Älterwerden kann auch die Jugend zum Neidobjekt werden, ist mir aufgefallen.

[Johannes]

Tsja, - interessant für mich, wenn an meinem Gedanken etwas dran ist....
...Interessant ist auch: Neid heucheln, um dem anderen ein wohliges Gefühl der Überlegenheit zu geben...

...Nun, ich werde meine eigenen Neidgefühle mal weiter beobachten. Mit dem Älterwerden kann auch die Jugend zum Neidobjekt werden, ist mir aufgefallen.

Für mich ist es eher interessant, dass dich dieses illusorische Gefühl so interessiert. Dahinter steckt nichts anderes als die Verleugnung dessen, was du in Wahrheit bist.

Was du in Wahrheit bist, kennt keinen Neid. Doch solange du dich mit Neid beschäftigst, so als ob er real wäre, wirst du mit dem, was du wirklich bist, nicht in Kontakt kommen.

Johannes

[Inge]

[Hippias minor]

Mein Ausgangspunkt war ja Umgang mit Neid bzw. Loswerden von Neid, also weniger Beobachtung anderer.

Ich glaube, es gab ein kleines Mißverständnis, aber es ist nicht wichtig, das auszuräumen.

[Inge]

Mein Ausgangspunkt war ja Umgang mit Neid bzw. Loswerden von Neid, also weniger Beobachtung anderer.

Mit Verlaub: solange du glaubst, das Ego zu sein, ist's mit dem Loswerden von Neid nix -- Neid ist ein Bestandteil seiner (vermeintlichen) "Existenz", da es an Mangel glaubt. Wenn du jedoch bereit bist, Neid loszulassen, lässt du gleichzeitig auch ein Stück Ego los.... Oder anders 'rum: solange du dich mit dem Ego identifizierst, ist dieses Loswerden nicht möglich, egal wie mit ihm "umgegangen" wird. (Geht's dir womöglich bloss ums envy management?)

Offensichtlich plagt dich dieses Neidgefühl, und es wäre vielleicht brauchbar, wenn du mit aller Selbstehrlichkeit jene Gedanken erforschen möchtest, die sich dahinter verbergen. Welches Etikett (Urteil) hast du dem Neid angehängt? Siehst du z.B. Neid als "schlecht", als "unter deiner Würde", als "beschämend", usw.? Im Grunde genommen ist Neid nichts weiter als ein leeres Gedankenkonstrukt, das im Bereich der Wirklichkeit rein nichts bedeutet.

Am Ende des Prozesses magst du vielleicht (ein)sehen, dass Neid ein Phantom ist, das sich nicht lohnt, nachgejagt zu werden....

Lastly: und wo soll denn das Misverständnis liegen?

[Hippias minor]

Liebe Inge,

derzeit bin ich nicht von Neidgefühlen geplagt, und vielleicht bin ich nicht einmal ein besonders neidischer Mensch, - hier liegt m.E. auch ein Mißverständnis. Nur ist es natürlich nicht so, daß mir Neidgefühle völlig unbekannt wären, und den oben ausgeführten Gedanken dazu wollte ich einfach mal mitteilen.
Das zweite Mißverständnis, das ich eigentlich meinte, könnte ich durch mein "Tsja..." an Felix bei Dir und Johannes ausgelöst zu haben, aber vielleicht täusche ich mich auch. Vordergründig sieht der Satz so aus, als sei das eine Form von Eitelkeit (da ich die Richtigkeit meines eigenen Gedankens bestätige oder "interessant" finde); tatsächlich ist es aber ein Eingehen auf Felix' Pointe: Wenn ich Felix' Neid errege, habe ich Grund, über mich nachzudenken und was es ist, das diese Reaktion "braucht".

Mit den Begriffen oder dem Gegensatz Ego - wahres Ich/Selbst operiere ich ja nicht. Ich fasse auch den Anderen nicht als Projektion meiner selbst, sondern als eigenständiges Wesen auf, und ich denke entsprechend, daß Projektionsvorgänge mehrere Deutungen ermöglichen. In bezug auf den Neid fand ich die Idee, daß das Neidgefühl vom Objekt ausgehen kann, mitteilenswert und nicht auf der Hand liegend.

Musik, die meines Erachtens keinen Neid erregen kann, ist z.B. Bach oder Bruckner. (Mozart finde ich dagegen schon einen schwierigen Fall, obwohl es natürlich auch Quatsch ist, auf Mozart neidisch zu sein!). - Musikhören bedeutet m.E., mit einer anderen Person in Kommunikation zu treten und u.U. auch (im Sinne einer Übertragung) Gefühle von ihr nachzuerleben oder entgegengesetzte, bei ihr unterdrückte Gefühle.

Auf einer konkreten Ebene kann ich damit operieren - und das will nicht sagen, daß ich daraus, aus psychologischen Betrachtungsversuchen, eine höhere Wahrheit machen will!

Was Johannes dazu sagt, scheint mir vom Standpunkt des Kurses aus korrekt. Aber der Kurs hat auch eine andere Frage- und Antworthöhe als die psychologische Betrachtung.

Ein Schriftsteller, der mir zum Thema Neid einfällt und von dem ich sagen würde, daß er Neid erregen will und gerne auch von Lesern gelesen wird, die ihn um seine Sprachgewalt einerseits beneiden, andererseits es genießen, mit ihm auf seine Figuren herabzublicken, ist z.B. Thomas Mann.

Um es nochmal ganz knapp zu sagen: Der Neid ist im Moment nicht mein großes Thema noch mein Problem oder der Fokus meines Interesses. Für den aber, der wie ich gelegentlich auch neidische Regungen in sich verspürt, kann mein Beitrag vielleicht hilfreich sein. Wenn ich vor allem über mich hätte schreiben wollen, hätte ich das im Semi-Privat-Forum getan.

Liebe Grüße,

Hippias minor

P.S.: Das Wort envy management kannte ich nicht, dazu muß man vielleicht in den Staaten leben! Habe aber über Google gleich eine Modelagentur gleichen Namens gefunden. Daß sich eine Modelagentur so nennt, ist eine Bestätigung dafür, daß der Neid genau so etwas sein kann, was ich meinte: Das Neidobjekt hat ein Interesse daran, Neidgefühle in das Neidsubjekt zu introduzieren, um dessen Neid zu genießen. Bzw. der Neid des anderen wird zur Basis dafür, sich selbst genießen zu können. Ich habe allerdings meine Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, wie sich das von innen anfühlt. Scheint jedenfalls keine sehr beidenswerte Situation zu sein!

[Inge]

Achdulieberheiland -- ich geb mich nun einfach schachmatt, da ich mit dem besten Willen nicht mehr mitkomme....biste mir halt doch intellektuell haushoch überlegen (was allerdings bei mir keinen Neid auslöst -- so isses eben...)

Der Ausdruck "Envy mangement" wurde spasshalber bzw. ironischerweise von der Inge geprägt und findet sich folglich (noch) nicht in einem Lexicon.