"Du bist die Welt"

[Stephan]

Noch einmal grundsätzlicher nachgedacht.

Der Kontext/Rahmen bringt die Bedeutung eines Begriffs, Gedankens etc. hervor. Ich denke, Gregor, darüber sind wir uns einig. "Schnee" z.B. bedeutet in einer Landschaftsschilderung i.a.R. etwas anderes als in einem Gespräch zwischen einem Dealer und einem Drogenkonsument.
Der Kurs selbst verwendet ja selbst Begriffe und Gedanken aus früheren/anderen Traditionen - wie könnte es ja auch anders sein - und kreiert daraus sein ganz eigenes System, seinen eigenen Rahmen - sein eigene "Sprache" (im Sinne der analytischen Sprachphilosophie nach Wittgenstein) -, um damit das mit den anderen "Sprachen" häufig und in unserem Alltag i.a.R. mittransportierte Ego-Denksystem aufzudecken und zu korrigieren.
Wenn man nun einen Satz wie "Du bist die Welt" nimmt und bewusst und ausdrücklich in einen anderen Kontext stellt, bedeutet er dann noch dasselbe wie im ursprünglichen Rahmen? M.a.W. transportiert ein Gedanke immer seinen ursprünglichen Rahmen mit und sprengt damit den Rahmen/Kontext bzw. das Sprachspiel, in den/das er eingebracht wurde? Ist es nicht so, dass Kurslernen als paradigmatische Geistesschulung i.a.R. genau so funktioniert:
Wir bringen alle immer schon unseren bisherigen Rahmen und unsere Sprache mit (traditionell christlich, advaitisch, buddhistisch, deutsche Alltagssprache, diverse Philosophien etc.) und finden Anknüpfungspunkte im Kurs und versuchen ihn nun erstmal in unser System zu integrieren. Das funktioniert aber nicht auf Dauer. Entweder wir geben den Kurs nach einiger Zeit als doch irgendwie unverständlich, nicht klar, nicht praktisch genug oder was auch immer auf, oder ein erfahrener Kursschüler macht uns darauf aufmerksam, was der Kurs eigentlich besagt, und führt uns in die Sprache (die spezifische Bedeutung der Begriffe, die Logik, die Regeln des Sprachspiels) bzw. den Rahmen des Kurses ein und wir lassen uns immer tiefer dahineinziehen, studieren den Kurs intensiv, wenden ihn vor allem immer konsequenter an, und werden so mehr und mehr durch ihn geprägt und verwandelt - präzise gesagt: verlernen das Ego-Denksystem mehr und mehr.
In diesem Sinne halte ich es als hermeneutisches Mittel für legitim und hilfreich, Sätze wie "Du bist die Welt" aus anderen Traditionen im Gespräch über den Kurs, falls sie denn ins Spiel gebracht wurden, aufzugreifen und als Anknüpfungspunkt zu benutzen, um a) die Logik, das Sprachspiel des Kurses zu erläutern und b) Mitspieler, die noch in irgendeiner Form stark von einem anderen Rahmen bzw. Sprachspiel geprägt sind, unmittelbar ins Spiel des Kurses zu integrieren und an diesem Punkt mit ihnen gemeinsam zu lernen, was denn der Kurs besagt, und ihn zugleich zu praktizieren - durch das sich so vollziehende gemeinsame Lernen.

Stephan

[Thomas]

Da ich als gespaltener Geist die Welt mache bzw. projiziere, bin ich sie auch in gewisser Weise.

Meine Projektionen zeigen mir meinen geistigen "Zustand", aber nicht das, was ich bin.

Ja, das würde ich auch so unterschreiben. Mir fällt jetzt auf, dass ich den Satz "Ich bin die Welt" eher so verstehe, dass die Welt ich ist. Die Welt ist nichts Äußeres, nichts objektiv existierendes, nichts anderes als ich. Aber ich bin nicht die Welt, zumindest nicht in dem Sinn, dass sie meine Identität ist, dass ich quasi auf sie begrenzt bin.

Nebenbei bemerkt denke ich, dass das auch im Advaita so verstanden werden kann. Schließlich sagte auch Nisargadatta: "was du wahrnimmst, kannst du nicht sein".

Was ich bin, ist Geist, daher kann ich mich zwischen Rechtgesinntheit und Falschgesinntheit entscheiden. Sage ich: "Ich bin die Welt" - wo kann ich mich da anders entscheiden?

Stimmt.

Die Schau ist ja ebenfalls illusionär.

Das ist allerdings der spannende Punkt, wo der Kurs einzigartig ist.

Interessant ist, wie wenig Bedeutung der Kurs dieser Erfahrung der direkten Vereinigung beimisst. Sie bewirkt keine Änderung im Denken. Wunder sind jetzt wichtiger. Und was für ein Wuhei wir um diese Erfahrung der direkten Vereinigung machen ...

Jou. Diese Erfahrung ist hier einfach kein Selbstzweck, sondern - wie mir scheint - eher nur ein Vorgeschmack, ein Zwischenschritt. Durchaus wichtig, aber eben nicht mehr.....

[Michael*]

Der SOHN GOTTES will nichts wissen. ER will nichts und ER braucht nichts - Auch keine Welt. Noch nicht einmal den Traum von einer Welt. ER IST.
ER ist SEIN GEDANKE.

Das IST so.
Aber wir glauben es nicht.
Das bringt die Notwendigkeit der Vergebung hervor.

Solange wir noch etwas wollen ( z.B. den Kurs üben ) und noch Dinge, Begriffe, uns: voneinander unterscheiden in unserem Erleben ( z.B. welcher Führung wir vertrauen ), sind wir auf dem Weg.
Wir sollten die Zielvorstellungen nicht den Weg behindern lassen, sondern sie am Himmel lassen, wo sie hingehören, und ihnen wie einem Stern folgen.

Michael

[Gast MM]

Der SOHN GOTTES will nichts wissen. ER will nichts und ER braucht nichts - Auch keine Welt. Noch nicht einmal den Traum von einer Welt. ER IST.
ER ist SEIN GEDANKE.

Das IST so.
Aber wir glauben es nicht.
Das bringt die Notwendigkeit der Vergebung hervor.

Solange wir noch etwas wollen ( z.B. den Kurs üben ) und noch Dinge, Begriffe, uns: voneinander unterscheiden in unserem Erleben ( z.B. welcher Führung wir vertrauen ), sind wir auf dem Weg.
Wir sollten die Zielvorstellungen nicht den Weg behindern lassen, sondern sie am Himmel lassen, wo sie hingehören, und ihnen wie einem Stern folgen.

Michael

Michael.
Du sprichst mir aus dem Herzen.

[René]

Darauf wies Jiddu Krishnamurti immer wieder hin, als den entscheidenden Punkt, wenn es um die Frage ging, wie diese Welt der Trennungen, der Konflikte, der Korruption und Gewalt verändert bzw. überwunden werden kann.
-> Die Lösung liegt im eigenen Geist, in der Spaltung des Beobachters vom Beobachteten, denn wir bringen das alles selbst hervor und müssen daher in uns selbst (in unserer Wahrnehmung, in unserem Bewusstsein/Geist) ansetzen, wenn wir das Übel an der Wurzel packen wollen ...
Wenn wir die Aussage "Du bist die Welt" also von der Frage her betrachten, wo liegt der Archimedische Punkt, um die Welt der Gewalt und Korruption revolutionär aus den Angeln zu heben, dann ist sicherlich leichter verständlich, welchen Sinn sie im Rahmen des Kurses hat (unabhängig davon, ob sie ausdrücklich so im Kurs steht).
Dass sie in diesem Rahmen sinnvoll ist, steht für mich völlig außer Frage, denn "Wahrnehmung ist Projektion" und die wahrgenommene Welt daher der Spiegel unseres (Unter-)Bewusstseins als der gespaltene Geist.
Wenn du also wissen willst, was du als SOHN GOTTES über dich denkst, dann sieh dir die Urteile an, die du über Menschen ("Brüder", ebenso wie das Körper-Ich, mit dem du dich identifizierst), über Dinge und Situationen - die Welt fällst/gefällt hast. Und dann wähle noch einmal ...
Und wenn dir also irgendetwas in der Welt missfällt, die du siehst, dann erinnere dich daran, wo ihr Ursprung liegt - und dann wähle noch einmal ...

In diesem Sinne kann ich Thomas´ gestrigen Beiträgen im "Guru/Lehrer"-Thread nur zustimmen. Es gibt m.E. eine Brücke zwischen Advaita/Zen etc. und dem Kurs, die trägt den Namen Jiddu Krishnamurti, wenn man den Zweck der Aussage "Du bist die Welt" in den Blick nimmt.
Und das ist eines der grundlegenden Prinzipien des Kurses: Frage dich stets vor allem, welchem Zweck ein Gedanke/eine Sache dient. Denn im Zweck liegt der Sinn, die Bedeutung, das Wesen jedes Gedanken/jeder Sache. Entweder er/sie dient der Bestätigung des Trennungsgedankens oder dessen Negierung, resp. der Vergebung.
Um nichts anderes geht es in diesem Leben, das macht es so einfach.
Ist aber nicht leicht, weil wir es als ans Ego gewöhnte lieber kompliziert haben wollen (-> uns lieber mit tausenden konkreten Problemen innerweltlich herumschlagen wollen und dabei kein Ende finden, statt immer wieder ihre eine, gemeinsame wahre Ursache - in uns selbst - in den Blick zu nehmen. Denn dann wäre das Spiel der Besonderheit nämlich rasch vorbei - aus der Traum).

Stephan

Vielen Dank Stephan, eine wunderschöne Punktlandung.

René

[Gregor]

Wir sollten die Zielvorstellungen nicht den Weg behindern lassen, sondern sie am Himmel lassen, wo sie hingehören, und ihnen wie einem Stern folgen.

Das hast du schön gesagt.

Im Kurs hieße es, die Illusion der Wahrheit zu überbringen. Holt man die Sterne auf die Erde hinab, ist das der Versuch, die Wahrheit in die Illusion zu ziehen.

Gregor

[Stephan]

... und an diesem Punkt mit ihnen gemeinsam zu lernen, was denn der Kurs besagt, und ihn zugleich zu praktizieren - durch das sich so vollziehende gemeinsame Lernen.

Spannend wird´s, wenn ich in diesem Lernvorgang dann zu fragen beginne: "Moment mal, was sagt der Kurs selbst eigentlich zum Thema >>Bedeutung<<?" Das macht für mich ja einen ganz wesentlichen Punkt im Kurs aus, dass er auch diesen Metabegriffen eine ganz klare Bedeutung zuweist: "Der Zweck bestimmt die Bedeutung", und damit sich selbst einen metasprachlichen Rahmen gibt, der alle vorherigen Meta-Rahmen (z.B. meinen der analytischen Sprachphilosophie), die wir mitgebracht haben, nun relativiert.
Ich staune immer wieder, wie hochkomplex durchdacht der Kurs auf dem Hintergrund sowohl der Fragestellungen der spirituellen Traditionen, wie der postmodernen philosophischen Diskurse erscheint - und wie genial er die Komplexität aufs Wesentliche, aufs Einfache zurückführt (-> die zentrale theologische Frage der Autorschaft: Schlechthinnige Abhängigkeit von GOTT vs. Autonomie des [modernen] Subjekts), ohne in Plattitüden und Banalitäten zu enden. Das ist Weisheit vom Feinsten. Und genau dieses Erstaunen lässt mich (neben den Früchten der Praxis -> Erfahrungen von innerem Frieden etc.) am Kurs kleben. Ich bin nunmal "in diesem Leben" ein theologisch geschulter Intellektueller und bin dankbar, dass der Kurs mich genau da abholt und bei der Stange hält.

Stephan

[Siboa]

Was ich spannend finde, ist, dass Gedankenaustausch dieser Art aus meiner Sicht zunächst sehr beliebig erscheint. Da gibt es statements:

G.D. schrieb:
Der SOHN GOTTES will nichts wissen. ER will nichts und ER braucht nichts - Auch keine Welt. Noch nicht einmal den Traum von einer Welt. ER IST.
ER ist SEIN GEDANKE.

Hier reagiere ich zunächst mit Abwehr á la Ja, das weiß ich, aber was hilft es mir, da sind Angriffsgedanken.

Aber durch ein für mich respektvolles Miteinander Umgehen, wird etwas, das ich erst einmal wegfege, bedeutungsvoll und hilfreich.

Solche Entwicklungen empfinde ich als Wunder.


Susanne

[Zeitweise]

Ich staune immer wieder, wie hochkomplex durchdacht der Kurs auf dem Hintergrund sowohl der Fragestellungen der spirituellen Traditionen, wie der postmodernen philosophischen Diskurse erscheint - und wie genial er die Komplexität aufs Wesentliche, aufs Einfache zurückführt (-> die zentrale theologische Frage der Autorschaft: Schlechthinnige Abhängigkeit von GOTT vs. Autonomie des [modernen] Subjekts), ohne in Plattitüden und Banalitäten zu enden.

Ich auch.

Zeitweise

[Thomas]

Wir sollten die Zielvorstellungen nicht den Weg behindern lassen, sondern sie am Himmel lassen, wo sie hingehören, und ihnen wie einem Stern folgen.

Im Kurs hieße es, die Illusion der Wahrheit zu überbringen. Holt man die Sterne auf die Erde hinab, ist das der Versuch, die Wahrheit in die Illusion zu ziehen.

Ich muss zugeben, dass ich den Satz, als ich ihn das erstemal las, nicht verstanden habe. Langsam dämmert mir immer mehr, was damit gemeint ist